Palästina zur Zeitenwende. Ein jüdischer Wanderprediger namens Jesus macht von sich reden. Er spricht von einem menschenfreundlichen Gott, lehrt die Umwertung alter Werte und verkündet das nahe Gottesreich. Einige Zeitgenossen lassen alles stehen und liegen und folgen ihm. Vielleicht ist er es ja, auf den sie seit langem warten, der Messias, der "Gesalbte des Herrn", der das geknechtete Israel wieder aufrichten werde. - Die Jerusalemer Führungsschicht sieht das anders. Für sie ist er ein Aufrührer und Gotteslästerer. In einem Schauprozeß fordert sie seine Verurteilung. Die römische Besatzungsmacht läßt ihn kreuzigen. Aber das Ende ist der Anfang. Die Jünger glauben an seine Auferstehung. Aus dem jüdischen Lehrer Jesus wird für sie ein theologisch gedeuteter Christus. - In enger Gemeinschaft bleiben sie zusammen. Geleitet durch die Apostel, löst sich die Jesusbewegung aus dem damaligen Judentum und breitet sich in Kleinasien aus. Ein Pharisäer namens Saulus wandelt sich vom Gegner zum glühenden Verfechter der "frohen Botschaft" von der Auferstehung. In drei großen Missionsreisen trägt er sie weit ins Römische Reich. - Unter Kaiser Nero kommt es in Rom zu einer blutigen Verfolgung. - Nach einem jüdischen Aufstand zerstören römische Legionen Jerusalem und den Tempel. Das Judentum zerstreut sich in der damaligen Welt, aber der uralte Baum hat zwei junge Triebe hervorgebracht: das rabbinische Judentum der Thora und - das Christentum.
Die Botschaft der Christen kommt an. Eben noch unscheinbare Randgruppe des Judentums, verbreitet sie sich in wenigen Jahrzehnten im ganzen Römischen Reich. "In der Welt, aber nicht von der Welt"; der Staat wird mißtrauisch. Wilde Gerüchte gehen um von Ritualmord und Geheimbündelei. Als sich die Christen dem offiziellen Kaiserkult verweigern, werden sie in mehreren Wellen verfolgt. Viele sterben den Märtyrertod. - In den ruhigen Phasen findet die junge Kirche festere Formen für Taufe und Abendmahl, Diakonie und Liturgie. Schriftsteller verteidigen sie gegen Angriffe, philosophisch gebildete Theologen deuten die Glaubensgeheimnisse. - Kaiser Konstantin reißt das Ruder der römischen Politik herum. Das Christentum erhält die volle Freiheit, sich zu entfalten. Der Kaiser traut ihm die Kraft und die Rolle zu, das von seinen Widersprüchen zerrissene Reich wieder zu einen. Die Kirche wird zur "Jedermannskirche" und hat nun große Möglichkeiten, die Gesellschaft zu gestalten. Jetzt muß sie aber auch immer wieder Kompromisse schließen, die ihre eigentliche Botschaft verdunkeln. Die Bischöfe verstehen sich als Nachfolger der Apostel und beanspruchen deren Autorität. - Kaiser Konstantin verlegt seine Hauptstadt in das griechische Byzanz am Bosporus. Konstantinopel wird das zweite Rom. Im ganzen Reich entstehen großartige Kirchenbauten, die den Sieg des Christentums über die Heiden zum Ausdruck bringen. Einzelne Christen ziehen sich in die Einsamkeit, abseits von den Versuchungen und Ablenkungen der "Welt". Einige schließen sich zu klösterlichen Gemeinschaften zusammen. - Die theologische Durchdringung des Glaubens macht große Fortschritte. Vor allem geht es um die Natur Christi und das Geheimnis der Dreifaltigkeit. Mehrfach ruft der Kaiser die Bischöfe des Reiches zu einem Konzil zusammen und zwingt sie, sich zu einigen. Er selbst wahrt Distanz. Erst auf dem Sterbebett läßt er sich taufen.
Germanische Völker überrennen die Grenzen des Römischen Reiches. Dabei übernehmen die das Christentum. Im Osten wird die Kirche mehr und mehr "Reichskirche" unter der Kontrolle des Kaisers. Im Westen gewinnt der Bischof von Rom eine Vorrangstellung. Mit wachsendem Selbstbewußtsein fordert er die oberste Gewalt der Lehre und Rechtsprechung in der Kirche. Damit vertieft sich der Gegensatz zwischen Ost und West. - Auf dem Monte Cassino gründet Benedikt von Nursia ein Kloster. Mit Gebet und Arbeit sollen die Mönche den Tag verbringen. Die Idee macht Schule. Benediktinerklöster werden die wichtigsten Kulturträger des Abendlandes. - Zu Anfang des 7. Jahrhunderts taucht aus dem arabischen Raum eine neue Religion auf. Auch sie versteht sich als Offenbarung des einen Gottes und entwickelt einen enormen Expansionsdruck. In kürzester Zeit erobert der Islam den vorderen Orient, den Balkan und dringt über Afrika bis Spanien vor. Erst die Franken können ihn aufhalten. Sie haben in West- und Mitteleuropa ein stabiles Reich etabliert und nehmen das römische Christentum an. In enger Verbindung mit dem Papst organisiert der angelsächsische Mönch Bonifatius die fränkische Kirche. Als der Karolinger Pippin nach der Königsmacht greift, leistet ihm der Papst wichtige Schützenhilfe. Dafür übernimmt der König den Schutz und das Wächteramt über die Kirche. Sein Nachfolger Karl führt zahlreiche Eroberungskriege gegen die germanischen Stämme und unterwirft sie dem Christentum. Am Weihnachtsabend des Jahres 800 läßt er sich in Rom von Papst Leo III. zum Kaiser krönen, ein Schritt von welthistorischer Bedeutung. Die Wiederbelebung des römischen Kaisertums symbolisiert den Fortbestand des antiken Imperiums. Mit dem Pakt zwischen geistlicher und weltlicher Macht entsteht ein problematisches Wechselspiel der Interessen, das in den nächsten Jahrhunderten für Spannung sorgt.
Nach dem Tod Karls des Großen zerfällt das karolingische Reich. Die regionalen Teilgewalten treten wieder hervor. Das nützliche Bündnis zwischen Papst und Kaiser steht auf schwachen Füßen. Auch die Spannungen zwischen Rom und Konstantinopel verschärfen sich. Sie führen 1054 zur Spaltung der Christenheit. Die slawischen Völker entscheiden sich für die orthodoxe Variante. - In Deutschland stabilisiert sich die Lage. Otto I. setzt auf die Bischöfe und gibt ihnen eine wichtige machtpolitische Rolle. Im "christlichen Abendland" gilt das irdische Dasein als Vorspiel für das himmlische. Die Künste setzen eindrucksvolle Zeichen des Glaubens und der kirchlichen Macht. - Vom burgundischen Kloster Cluny gehen starke Impulse aus zur Reform kirchlicher Mißstände. Auch der Einfluß weltlicher Gewalten auf die Kirche soll beseitigt werden. Das führt zu einem dramatischen Konflikt zwischen Kaiser und Papst. Auf dem Höhepunkt muß König Heinrich IV. als Büßer nach Canossa gehen, um sich vom Bann zu lösen und seine Krone zu retten. - 1098 ruft Papst Urban die europäische Ritterschaft auf, das Heilige Land vom Islam zu befreien. Die Kreuzzüge werden eine verlustreiche und Massenbewegung. - Das Christentum ist zur Monopolreligion geworden. Alles, was die Einheit dieses religiös-politischen Kosmos zu stören scheint, wird als massive Bedrohung der Weltordnung empfunden und mit immer härteren Mitteln bekämpft. Das bekommen Abweichler wie die Katharer, Albigenser und Waldenser zu spüren. - In den Städten entsteht eine neue Weltmacht: die Universität. Das grandiose theologische Denk- und Lehrgebäude der Scholastik, der mittelalterlichen Philosophie, versucht, Glaube und Vernunft zu vereinen. - Während Papst und Kaiser ihren Machtkampf in immer neuen Runden ausfechten, gründen Franz von Assisi und Dominikus neuartige Bettel- -und Wanderorden, die sich dem biblischen Armutsideal verpflichten.
1347 bricht ein furchtbares Verhängnis über Europa herein. Die Pest, der "Schwarze Tod", rafft innerhalb von drei Jahren ein Drittel der Bevölkerung dahin. Die Menschen reagieren unter Schock. Geißlerzüge und Judenpogrome werden zur weiteren Seuche. - Der festgefügte Kosmos des Mittelalters bekommt tiefe Risse. Der planende Schöpfergott erscheint nun als unberechenbarer Herrscher. - Die Menschen suchen Zuflucht in Prozessionen, Wallfahrten und im Reliquienkult. Die Päpste geraten in Abhängigkeit vom französischen König und verlegen ihre Residenz nach Avignon. Man spricht von der "Babylonischen Gefangenschaft der Kirche". Verschwenderische Hofhaltung, Ämterschacher und Geldschneiderei zeigen den moralischen Niedergang. - Die Zeit ist aus den Fugen. Die gotischen Kathedralen werden zur "fiebrigen" Flamme und erreichen die Grenzen ihrer physikalischen Möglichkeiten. Eine große Sehnsucht nach der Nähe des Heiligen beseelt die Menschen. Die christliche Mystik bringt Frauen und Männer mit visionärer Begabung hervor. Sie empfinden die Offenbarung als Einbruch Gottes in ihr ganz persönliches Dasein. - Aber auch die Mächte der Finsternis durchdringen den Alltag. Teufel und Dämonen scheinen allgegenwärtig. Die Kirche, die den heidnischen Aberglauben einst so erfolgreich bekämpfte, verliert viel von ihrer befreienden Kraft. - Die Päpste kehren nach Rom zurück, bleiben aber im Widerstreit der Parteien. Gegenpäpste stehen auf. Das "Große Abendländische Schisma" stürzt die Christenheit in tiefe Zweifel und Unruhe. Immer lauter wird der allgemeine Ruf nach einer "Reform an Haupt und Gliedern". 1414 soll ein Konzil in Konstanz die Wende bringen. Es scheitert am Widerstand der Kurie und an nationalen Einzelinteressen, düster beleuchtet durch den Scheiterhaufen, auf dem der tschechische Reformer Johannes Hus qualvoll stirbt.
Türkische Janitscharen erobern Konstantinopel, das Zentrum der orthodoxen Christenheit. Deren Schwerpunkt verlagert sich ins "hölzerne" Moskau, das "dritte Rom". Der türkische Halbmond verdrängt das Kreuz und dringt bis tief in den Balkan vor. - Im Westen leiden viele Christen an den Widersprüchen von Kirche, Staat und Gesellschaft. Sie suchen einen Ausweg nach innen und finden neue Formen der "Nachfolge Christi". - Italien steht ganz im Zeichen von Humanismus und Renaissance. Philosophen, Wissenschaftler und Künstler machen aufregende Entdeckungen an der Welt und an sich selbst. Immer häufiger und immer mutiger durchstoßen sie die traditionellen Grenzen. In den oberitalienischen Stadtrepubliken entsteht ein selbstbewußtes Bürgertum. Neue Wirtschaftsmethoden häufen enorme Reichtümer an. Die Adelsfamilien wetteifern als Förderer von Kunst und Wissenschaft. - Kaum anders verstehen sich die Päpste in Rom. Sie führen das ausschweifende Leben kleiner Fürsten, treiben skrupellose Familienpolitik und schrecken auch vor Gift und Dolch nicht zurück. Gleichzeitig sind sie unersättliche Auftraggeber und Kunstmäzene. Das im Mittelalter zerfallene Rom ist jetzt eine einzige Baustelle. Es soll aller Welt den Triumph der Kirche vor Augen führen. Die größten Künstler der Epoche wirken mit. Was für den Papst der neue Petersdom, ist für die kleinen Leute der "Peterspfennig". Sie zahlen die Zeche. In Florenz klagt der Dominikanermönch Savonarola Papst und Kurie wegen ihres sündigen Treibens an. Rom schlägt zurück. Der "heilige Ketzer" wird verbrannt. - Auch ein Wissenschaftler kommt in große Gefahr. Galilei gelingt es, das Weltmodell des Kopernikus zu beweisen. Ein Inquisitionsprozess zwingt ihn zum Widerruf. Naturwissenschaft und Glaube gehen getrennte Wege.
Amtsmißbrauch von Papst und Kurie, sittliche Verwahrlosung des Klerus und hemmungslose Vermarktung der Seelsorge: Die Leitung der Kirche steckt in der eigenen Sackgasse und scheint unfähig, sich zu befreien. Der Augustinermönch Martin Luther quält sich mit der Frage nach der Rechtfertigung des Menschen vor Gott. - Im Römerbrief des Hl. Paulus findet er eine lange verschüttete Antwort: Die Gnade Gottes ist unverdientes Geschenk. Nicht fromme Werke, sondern allein der Glaube führt zum Heil. Eine Ablaßkampagne Roms zündet den Funken. Mit 95 Thesen wendet sich Luther an die Öffentlichkeit. Der junge Buchdruck verbreitet sie in ganz Deutschland. Der Papst droht mit dem Bann. Luther bestreitet der Kirche das Recht, sich zwischen die Gläubigen und Gott zu stellen. Vor dem Reichstag in Worms soll er widerrufen. Er weigert sich standhaft, und man erklärt ihn für vogelfrei. Sein Kurfürst versteckt ihn auf der Wartburg. Hier übersetzt er die Bibel ins Deutsche und schafft ein Sprachdenkmal von hohem Rang. - Inzwischen entstehen in der Schweiz weitere Reformationen. Zwingli in Zürich und Calvin in Genf finden eigene Varianten und können sie politisch absichern. - Ab 1525 erschüttern Aufstände der unterdrückten Bauern das Reich. Sie bauen auf Luthers Unterstützung. Der entscheidet sich jedoch für die Gegenseite. Der Bauernkrieg endet in einem blutigen Strafgericht. - Die Reformation beginnt, den Alltag der Menschen umzugestalten. Luther heiratet die Nonne Katharina von Bora. Er ist jetzt glücklicher Familienvater, hält Tischgespräche mit seinen Freunden und verfaßt geistliche Lieder. 1530 legen die lutherischen Stände dem Reichstag in Augsburg eine umfassende Bekenntnisschrift vor. Der Kaiser setzt jedoch auf Krieg, um die Glaubensfrage mit Waffengewalt zu beantworten. Vergeblich. Die Zeit "der Kirche" ist in Deutschland vorbei. Die Zeit "der Kirchen" hat begonnen.
Der große Reformstau bringt viele Reformationen hervor. Sie verbinden sich mit den regionalen Bestrebungen nach Unabhängigkeit. Das Konzil von Trient kann die Kirchenspaltung nicht mehr beseitigen, es modernisiert jedoch die Innenwelt des Katholizismus. Neuartige Orden wie die "Gesellschaft Jesu" des spanischen Ritters Ignatius von Loyola werden zur Elitetruppe der Gegenreformation. - Während der Augsburger Religionsfrieden in Deutschland eine gespannte Ruhe erzeugt, toben in Frankreich die grausamen Hugenottenkriege. - In England führen die Eheprobleme Heinrichs VIII. zur Trennung von Rom. - Eine düstere Rolle spielt das reiche und mächtige Spanien. Philipp II. setzt alle Mittel ein, um die mittelalterliche Einheit von Macht und Glaube zu rekonstruieren. Die Inquisition führt einen Vernichtungskampf gegen jeden freien Gedanken. Als sich die niederländischen Provinzen dem Calvinismus öffnen, antwortet Philipp mit beispiellosem Terror. Der Freiheitskampf der Niederlande wird zum Vorbild aller künftigen Freiheitsbewegungen in Europa. - Auch in Deutschland reden 1618 wieder die Waffen. Der Dreißigjährige Krieg wird zur größten Katastrophe Europas seit der Pest. Erst der Erschöpfungsfriede von Münster bringt die konfessionelle Landkarte Europas zur Ruhe. Mit verschwenderischem Pomp inszenieren die Landesherren ihre absolutistische Macht. Unter der Fassade triumphiert noch immer der Aberglaube. Die Epidemie des Hexenwahns erreicht ihren Höhepunkt. Ungezählte Frauen sterben auf dem Scheiterhaufen. Nur wenige Zeitgenossen finden den Mut, gegen den Wahnsinn aufzustehen. - Die Kultur des Barock schwankt zwischen rauschhafter Sinnenfreude und düsterer Todesnähe. In Leipzig schreibt der Thomaskantor Johann Sebastian Bach seine Kantaten und Passionen, in denen sich die Nöte und Hoffnungen des ganzen Zeitalters verdichten und für immer gültigen Ausdruck finden.
Er sucht einen Seeweg nach Indien und findet eine "neue Welt". Mit der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus wird die Erde endgültig zur Kugel. Spanische und Portugiesische Abenteurer überfallen und versklaven die Völker Mittel- und Südamerikas. Millionen Indios gehen an Krankheit und Erschöpfung zugrunde. So erscheint ihnen das Christentum als die Religion der Eroberer. Sie nehmen es unter Zwang nur oberflächlich an und halten insgeheim an ihren alten Göttern und Bräuchen fest. - Aus dem christlichen Lager wenden sich nur wenige Stimmen gegen den Völkermord. Bartolomé de Las Casas wird zum glühenden Anwalt der Unterdrückten und Verfolgten. - Um die Indios vor den Sklavenjägern zu schützen, ziehen sich die Missionare mit ihnen in entlegene Reservate zurück. Im "Jesuitenstaat" von Paraguay versuchen die Patres, eine christlich-utopische Gesellschaft einzurichten, wo sich der Einzelne im Schutz der Gemeinschaft entfalten kann und dabei Verantwortung für die Allgemeinheit übernimmt. Das "heilige Experiment" scheitert nach 150 Jahren mit der Vertreibung der Jesuiten. Die Indios fallen ins Elend zurück. - Auch Asien und Afrika werden im 16. Jahrhundert Zielgebiete christlicher Missionare. Hier stoßen sie auf mächtige und selbstbewußte Kulturen, die von den Vorzügen des Christentums nur schwer zu überzeugen sind. Versuche einzelner Missionare, sich den einheimischen Traditionen anzupassen, haben im Land Erfolg, scheitern aber am römischen Zentralismus, der keine Anpassung dulden will. - 1620 landet die "Mayflower" der Pilgerväter an der Ostküste Nordamerikas. Der Kontinent bekommt eine calvinistische Prägung und wird zum Gelobten Land für Einwanderer aus Europa. Zahlreiche protestantische Gruppierungen verästeln sich immer weiter und üben zumeist friedliche Koexistenz.
Der Mensch ist sein eigener Herr. Zu einer glücklichen Entwicklung der Gesellschaft braucht es weder Gott noch Gebete, es genügen vernünftige Gesetze. - Die neue Zeit entsteht in den Köpfen. "Ich denke, also bin ich" schreibt René Descartes und gibt dem europäischen Geist eine neue Strömungsrichtung. Das Universum erscheint jetzt als ein mechanisches Uhrwerk. Wer seine Gesetze versteht, kann es beherrschen. Gott ist darin nur noch eine unbeweisbare Annahme, die Kirche allenfalls eine moralische Anstalt zur sittlichen Erziehung der Bürger. Glaubenskriege, Inquisition und Aberglaube werden vor der Sonne der Vernunft wie alter Schnee vergehen. Die neuen Ideen dringen bis in die höchsten Kreise des Adels vor. In Preußen und Österreich kommen aufgeklärte Regenten an die Macht. Sie werben für Bildung und Toleranz und drängen den Einfluß der Kirche zurück. Im Staat Friedrichs des Großen soll jeder "nach seiner Fasson selig werden." - 1789 hebt der unterdrückte Dritte Stand sein Haupt. In einem Jahrzehnt fegt die Französische Revolution die Reste des Mittelalters beiseite. Unter heftigen Wehen wird der moderne Nationalstaat geboren. Die Kirche war Stütze des alten Regimes und sitzt nun mit diesem auf der Anklagebank. Die Priester sollen einen Eid auf die Verfassung leisten. Wer sich weigert, stirbt unter der Guillotine. Die Volksheere Napoleons exportieren die neuen Ideen weit über die Grenzen Frankreichs hinaus. 1804 "zitiert" der Korse den Papst nach Paris, um sich vor dessen Augen selbst zum Kaiser zu krönen, eine Gebärde, die den alten Anspruch der Päpste verhöhnt. 1803 werden fast alle geistlichen Fürstentümer abgeschafft und Kirchengut im großen Stil enteignet. - Der Wiener Kongreß versucht, die Zeit zurückzudrehen. Auf den Barrikaden von 1848 stehen - vereinzelt - auch Christen und kämpfen für Pressefreiheit, Menschenrechte und Demokratie.
Die Romantik träumt sich in ein legendäres Mittelalter zurück. Die katholische Kirche mit ihren Bräuchen und sinnenfrohen Inszenierungen kommt wieder in Mode, zumindest bei Künstlern und Literaten. Sie trauert jedoch den verlorenen Privilegien nach und sieht im Streben der Völker nach Demokratie und nationaler Unabhängigkeit gefährliche Entwicklungen. Darwins Entdeckung der Evolution ist für viele Christen ein Schock. Der Mensch, das "Ebenbild Gottes", in gemeinsamer Ahnenreihe mit Einzellern und Schimpansen? Das ist schwer zu verkraften. Wissenschaft und Glaube erscheinen als unversöhnliche Gegensätze. Der Atheismus, früher eine gefährliche Verrücktheit am Rande - wird jetzt zur selbstverständlich lebbaren Alternative. - Säkulare Regierungen versuchen, die Kirche aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. In Preußen kommt es zu einem Kulturkampf, aus dem die katholische Kirche jedoch mit neuer Geschlossenheit und gewachsenem Ansehen hervorgeht. - Das unabhängige Italien beseitigt den Kirchenstaat. Schmollend vergräbt sich der Papst hinter den Mauern des Vatikans. - Die wirklichen Probleme der Zeit liegen woanders. Die Dampfmaschine löst eine industrielle Revolution aus. In den explosiv wachsenden Städten sammeln sich entwurzelte Menschen. Ihre Suche nach Lebenssinn bleibt lange ohne Antwort. Die Kirchen sind blind für das Elend der Arbeiterschaft. Marxismus und Sozialdemokratie bieten ideologischen Ersatz. Einzelne Christen übernehmen jedoch Verantwortung. Heinrich Wichern, Adolf Kolping oder Bischof Ketteler in Mainz kämpfen gegen die Not und für die Rechte der Arbeiter. Erst die Sozialenzyklika Leos XIII. versucht einen großen Entwurf für die Neuordnung der Gesellschaft. Die europäischen Kolonialmächte gebärden sich als Heilsbringer der Welt und versuchen, sich gegenseitig zu verdrängen. Am Horizont steigen düstere Wolken auf.
Das 20. Jahrhundert beginnt voller Optimismus. Technischer Fortschritt und Weltverkehr scheinen ein goldenes Zeitalter heraufzuführen. Wenig später taumelt Europa in den Ersten Weltkrieg. In nationalistischer Verblendung fallen die "christlichen" Völker über einander her. In der "Blutmühle" von Verdun werden die Menschen zum anonymen Objekt der Materialschlacht. Der Zusammenbruch stürzt vor allem das landeskirchliche Luthertum in eine tiefe Krise. - In Rußland bringt die Oktoberrevolution eine atheistische Diktatur an die Macht. Für Stalin ist die Vernichtung des Christentums erklärtes Ziel. Zahlreiche Priester, Mönche und Gläubige fallen den großen Säuberungen zum Opfer. - In Italien findet die "Römische Frage" in den Lateranverträgen eine Lösung. Der Vatikan wird zum unabhängigen Staat. - Unter dem Nationalsozialismus verwandelt sich Deutschland in eine rassistische Diktatur. Alte Großgruppen der Gesellschaft werden gleichgeschaltet. Der Vatikan hofft über ein Konkordat auf berechenbare Verhältnisse. Die Evangelische Kirche soll in eine rassisch reine "deutsche Reichskirche" verwandelt werden. "Pfarrernotbund" und "Bekennende Kirche" organisieren den Widerstand. - Inzwischen sind die jüdischen Mitbürger der systematischen Vernichtung ausgesetzt. Die Kirchen wagen keinen öffentlichen Protest. Widerstand oder Anpassung? Das persönliche Bekenntnis zu Christus und zum christlichen Menschenbild wird zur inneren und äußeren Überlebensfrage. Während die Kirchenorganisationen versuchen, mit mancherlei Kompromiß zu überwintern, gehen einzelne Christen in den Widerstand. Viele werden verhaftet und ermordet. Menschen wie Dietrich Bonhoeffer, Maximilian Kolbe, Edith Stein oder die Widerstandsgruppe der "Weißen Rose"' ziehen dem verbrecherischen Staat eine unwiderrufliche Grenze und retten das Christentum über den Untergang der Diktatur hinweg.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs steht der Blitz über Hiroshima. Seitdem bedroht die Atombombe alles Leben auf dem Planeten, seine Vergangenheit und seine Zukunft. - Die christlichen Kirchen stellen sich nur langsam auf die neue Situation ein. Sie bekennen sich mitschuldig an der Katastrophe. Sie beginnen zögernd, sich aus der engen Verbindung mit der weltlichen Macht zu lösen. Die verschiedenen Bekenntnisse gehen aufeinander zu. Fernziel: Einheit der Christen. Die Bevölkerungsexplosion in der Dritten Weit verschiebt die Gewichte. Die "jungen" Kirchen finden und behaupten eigene Gestaltungen der christlichen Botschaft. - Das Zweite Vatikanische Konzil stößt die Türen und Fenster der katholischen Kirche auf. Sie hofft auf eine wichtigere Rolle in der modernen Welt, ohne sich dem Zeitgeist zu unterwerfen. Für den polnischen Papst Johannes Paul II. ist der Vatikan nur noch die Basis für Reisen in zahlreiche Länder der Erde. Gegen Ende der 80er Jahre bricht der "geregelte Konflikt" des Ost-West-Systems zusammen. Damit steigen die Chancen einer friedlichen Weltgesellschaft, es brechen aber auch grausame Bürgerkriege zwischen ethnischen Gruppen auf. Wieder steht die Welt vor einer neuen Aufgabe - und mit ihr das Christentum. Globale Wirtschaftsmacht bdarf globaler Moral. Raubbau an der Natur bedroht die Umwelt, Dauerarbeitslosigkeit, Drogenhandel, blinder Konsumrausch entwurzeln viele Menschen. Weltweite Armutswanderungen erfordern belastbare Solidarität der reichen Länder. In der Gentechnik übernimmt der Mensch die Steuerung der Evolution, mit welchem Ziel? zu wessen Nutzen? aus wessen Kosten? - Das Christentum verfügt über einen großen Fundus an Erfahrungen und innerer Zuversicht. Es ankert nicht an sich selbst und bietet deshalb dynamischen Halt. Aber wo es auf seine befreiende Kraft verzichtet, wird es zum Instrument der Unterdrückung. Kein Grund zu Resignation. Die Botschaft jenes Wanderpredigers aus Nazareth scheint es nicht dauerhaft zu dulden, dass