Jedes Jahr während der Regenzeit steigt das Wasser des Tonle-Sap-Sees um viele Meter. Im September machen die Fischer daher immer weniger Fänge: Ihre Netze reichen nicht mehr bis auf den Grund. Deshalb weichen sie auf Ratten aus: Die Tiere leben bei Hochwasser auf den Bäumen und ernähren sich von Früchten. Hygienisch gelten sie deswegen als rein und können auch gegessen werden. Auf Rattenfang gehen die Fischer des Sees erst seit Ende der 90er Jahre. Das Hochwasser, aber auch die Überfischung und der Verlust von Laichgebieten zwingen sie dazu. Dass die Tiere nun genießbar sind, verdanken die Fischer ebenfalls dem jährlichen Hochwasser: Während die Ratten den Rest des Jahres in Erdhöhlen leben, flüchten sie nun in die noch freistehenden Baumkronen, um dort ihre Nester zu bauen. Statt Müll und Unrat fressen sie vor allem Früchte und Blätter; deshalb gilt ihr Fleisch nun als hygienisch unbedenklich. Auch der 20-jährige Sey Ha geht mit seinem Vater und den Nachbarn regelmäßig auf die Jagd. Mit dem Verkauf sichern sich die Familien während der fischlosen Zeit, wenn ihre Netze nicht mehr bis auf den Grund des Sees reichen, eine Einnahmequelle. Während Sey Has Familie gezwungenermaßen zur Ratte greift, weil sie sich Huhn oder anderes Fleisch nicht leisten kann, gilt der Nager auf den Märkten oder in Restaurants als Spezialität. Dort ist Rattenfleisch teurer als Fisch. Sogar Städter kommen, um die Saisonware zu probieren. Wie in vielen Ländern Asiens erstarkt auch in Kambodscha die Mittelschicht. Schon einmal in der Geschichte des Landes standen Ratten auf dem Speiseplan vieler Menschen, als die Roten Khmer das Land terrorisierten und die Bevölkerung hungerte. Auch in Sey Has Familie gab es während der Schreckenszeit Opfer – und Täter. Seine Mutter möchte sich diesem Trauma nun stellen und nach Siem Reap fahren. Die dortige Pagode befindet sich auf einem ehemaligen Killing Field. Mönche haben hier mit der Aufarbeitung der Vergangenheit begonne