Als der französische Ägyptologe Pierre Montet in den 1920er Jahren mit Ausgrabungen in Tanis im Nildelta begann, sah er sich am Ziel seiner Träume: Der Wissenschaftler glaubte, er habe Piramesse, die verschollene Hauptstadt Ramses’ des Großen, entdeckt. Denn auf dem weitläufigen Gelände fand er mehr als 100 gigantische Statuen des berühmten Pharaos, die allesamt seinen Namen trugen. Von den Fundamenten der Monumente, von Tempeln und Gebäuden aus der Zeit des ägyptischen Regenten fehlte allerdings jede Spur. Der Befund machte einige Zeitgenossen Montets stutzig, weist er doch darauf hin, dass Piramesse nicht mit Tanis identisch sein konnte. Über Jahrtausende rankten sich Legenden um die Metropole im östlichen Nildelta. Fest steht: Schon Sethos I. hatte mit dem Bau begonnen, sein Sohn Ramses II. vollendete das Mammutwerk und machte Piramesse 1269 vor Christus zum Regierungssitz. Hymnen preisen die Schönheit und Pracht der Hafenstadt. Etwa 300.000 Einwohner lebten dort auf einer Fläche von mehr als 30 Quadratkilometern. Doch wie konnte eine Megacity völlig verschwinden? Und was bedeuten die Granitkolosse in Tanis? Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts gelang es Wissenschaftlern, das Rätsel zu lösen. Der österreichische Archäologe Manfred Bietak stieß 30 Kilometer von Tanis entfernt auf die Ruinen der Ramses-Residenz. Zusammen mit seinem deutschen Kollegen Edgar Pusch gräbt er seither in dem riesigen Areal. Die systematische Freilegung von Piramesse brachte die Überreste von großen Tempeln, Palästen und Wohngebäuden aus Lehmziegeln zutage. Bis lang nach dem Tod Ramses’ des Großen war die Stadt bewohnt, dann versandete der Pelusische Nilarm. Ohne Wasser fehlte der Hafenmetropole die Lebensgrundlage. So errichtete die nachfolgende Dynastie der Bubastiden an einem anderen Nilarm, nämlich in Tanis, ihr Machtzentrum. Die riesigen Statuen und die Obelisken des Pharaos transportierten die Ägypter ab und stellten sie an dem neuen Ort wieder auf. (T